hw-widerruf-elektriker-amh-online.de
Marketing Handwerk GmbH

News vom 13.09.2023Widerruf: Handwerker geht leer aus

Elektriker hatte seine Arbeit erledigt, Rechnung war gestellt, Kunde musste nichts zahlen. Er hatte nicht über das Widerrufsrecht aufgeklärt.

Von Anne Kieserling



Aachen. Ein privater Kunde musste wegen einer fehlenden Widerrufsbelehrung für die Arbeit eines Elektrikers nichts bezahlen. Denn versäumt es ein Unternehmer, den Verbraucher über sein Widerrufsrecht aufzuklären, trägt er das Risiko. Bei einem Widerruf hat er weder Anspruch auf Zahlung noch auf Ersatzleistung. Das sagt ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das die Rechte der Verbraucher erneut stärkt.

Der Fall: Ein privater Kunde hatte einen Elektriker mit der Erneuerung der Installation seines Hauses beauftragt. Das Unternehmen versäumte es jedoch, den Kunden über sein Widerrufsrecht zu belehren. Dieses Recht steht jedem Verbraucher grundsätzlich 14 Tage lang zu, wenn der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmens abgeschlossen wurde. Der Handwerker führte die Arbeiten komplett aus, aber der Kunde weigerte sich zu zahlen und widerrief stattdessen den Vertrag. Der Streit landete vor dem Landgericht Essen.

Das deutsche Gericht hatte Zweifel und wollte vom EuGH wissen, ob der Kunde einen Wertersatz für die getane Arbeit leisten müsse. Andernfalls könne er wegen der erhaltenen Leistungen ungerechtfertigt bereichert sein.

Das Urteil: Der EuGH stellte sich auf die Seite des Kunden und sprach ihn von jeder Zahlungspflicht frei. So stehe es in Artikel 14 Absatz 5 der Verbraucherschutzrichtlinie (RL 2011/83). Diese besage, dass für den Verbraucher keine Kosten entstehen dürften, also auch kein Wertersatz. Da die Belehrung über das Widerrufsrecht fehlte, müsse das Unternehmen das Risiko tragen.

Der Verbraucherschutz stehe im Vordergrund, betonten die Luxemburger Richter. Dieser funktioniere jedoch nur, wenn der Verbraucher tatsächlich über sein Widerrufsrecht informiert sei. Das hohe Niveau des Verbraucherschutzes werde nicht eingehalten, wenn dem Verbraucher Kosten entstehen könnten, obwohl er nicht angemessen über seine Rechte informiert wurde. Ein Wertersatz gegenüber dem Verbraucher in diesem Fall stehe nicht im Einklang mit der Verbraucherschutzrichtlinie, so der EuGH. Das Argument der ungerechtfertigten Bereicherung werde vom Verbraucherschutz in der Richtlinie überlagert. Der Elektriker hatte hier also mit „rechtlichem Segen“ gratis gearbeitet (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 17. Mai 2023, Az. C-97/22).

Praxistipp: „Der EuGH hat mit seinem Urteil erneut unterstrichen, wie wichtig ihm der Verbraucherschutz in der EU ist. Der Verbraucherschutz schlägt sogar das Argument der ungerechtfertigten Bereicherung. Der Verbraucher muss also nichts bezahlen, obwohl er die Leistung erhalten hat. Unternehmer müssen darauf achten, die Verbraucher genau zu belehren. Ansonsten gehen sie ein erhebliches Risiko ein“, erklärt die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer.

Infos: Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat aktuelle Musterformulare für Handwerker erstellt, unter anderem eine Widerrufsbelehrung für Verbraucher. Alle Muster und einen Ratgeber zum Thema Verbraucher-Widerrufsrecht finden Sie kostenlos zum Herunterladen auf www.zdh.de

 Seit 2014 haben Privatkunden ein 14-tägiges Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen und bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden (AGV).

Beispiel für einen AGV: Der Handwerker nimmt Aufmaß vor Ort und schließt anschließend beim Kunden direkt einen mündlichen Vertrag. In solchen Situationen müssen Betriebe Verbraucher rechtzeitig und umfassend über ihr Widerrufsrecht belehren. Ab diesem Zeitpunkt kann der Kunde 14 Tage lang den Vertrag widerrufen, ohne Angaben von Gründen.

Achtung: Falls die Belehrung über das Widerrufsrecht fehlt, falsch oder unvollständig ist, verlängert sich das Recht auf 12 Monate und 14 Tage! Beginnt der Handwerker mit seiner Arbeit auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden vor Ablauf der 14-tägigen Frist, sollte er auf keinen Fall die Belehrung vergessen. Denn nur dann muss der Kunde bei einem Widerruf die bereits erbrachten Leistungen bezahlen. Ohne ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung geht der Handwerker in solchen Fällen leer aus.



Neue Regeln für die Widerrufsbelehrung seit Mai 2022:

  • Es muss keine Faxnummer mehr genannt werden – weder in der Widerrufsbelehrung noch im -formular. Eine freiwillige Angabe ist weiterhin möglich.
  • Die Telefonnummer muss in der Widerrufsbelehrung stehen (Achtung: nicht im Widerrufsformular.).
  • Die E-Mail-Adresse muss in beiden Dokumenten angegeben sein, also auch im Widerrufsformular.
  • Die Widerrufsbelehrung muss die Verbraucher auch über die Umstände, unter denen sie ein zunächst bestehendes Widerrufsrecht verlieren, informieren.
  • Neu ist auch, dass dem Verbraucher eine Bestätigung zur Verfügung gestellt werden muss. Dazu muss der Unternehmer dem Verbraucher ein Dokument (etwa als Papier, Mail, SMS) zukommen lassen, in dem bestätigt wird, dass der Kunde ausdrücklich der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt und seine Kenntnis vom damit einhergehenden Verlust des Widerrufsrechts mit Vertragsausführung bestätigt hat. Auch über diesen Umstand ist der Kunde zu informieren.


Kein Widerrufsrecht bei Notfalleinsätzen:

In Einzelfällen hat der Kunde kein Widerrufsrecht, selbst wenn der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurde. Solche Ausnahmen sind zum Beispiel „Notfalleinsätze“ wie dringende Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen, zu denen der Verbraucher den Handwerker ausdrücklich angefordert hat. Das kann etwa ein Rohrbruch sein oder die Beseitigung von Sturm- oder Hagelschäden. Achtung: Die Ausnahmen gelten nicht automatisch. Vielmehr muss der Handwerker den Verbraucher darüber belehren, dass ihm hier kein Widerrufsrecht zusteht.



Richter stellen sich schützend vor Handwerker

Nimmt ein Auftraggeber ein Angebot am nächsten Tag an, hat er kein Recht zum Widerruf, denn er hatte genug Zeit zum Nachdenken.

Aachen. Das Widerrufsrecht für Verbraucher hat schon so manchen Handwerker um seinen Werklohn gebracht und zur Verzweiflung getrieben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun eine lange umstrittene Frage zugunsten der Handwerker geklärt und schützt sie vor unseriösen Geschäftspartnern. In dem entschiedenen Fall hatte sich der trickreiche Auftraggeber sogar damit gebrüstet, dass er „darauf ein Geschäftsmodell aufbaue“. Die Bundesrichter machten ihm aber einen Strich durch die Rechnung. Denn da der Kunde das Angebot des Dachdeckers erst am nächsten Tag angenommen hatte, war dies kein Vertrag, der „außerhalb von Geschäftsräumen“ geschlossen wurde. Angebot und Annahme fielen nämlich zeitlich und räumlich auseinander. Daher hat der Kunde hier auch kein Widerrufsrecht, erklärte der BGH.

Der Fall: Ein privater Hausbesitzer beauftragte einen Dachdeckerbetrieb mit der Erneuerung von Dachrinnen und Abdichtungen. Bei den Arbeiten fiel einem Mitarbeiter auf, dass der Wandanschluss des Daches defekt war. Der Dachdecker kalkulierte rund 1.200 Euro für den Zusatzauftrag und teilte dies dem Kunden mit. Am nächsten Tag bestätigte der Kunde den Auftrag auf der Baustelle. Obwohl die Arbeiten mangelfrei erledigt wurden, widerrief der Hauseigentümer alle Aufträge schriftlich und verlangte vor Gericht den Werklohn zurück. Später übergab er dem Handwerker noch einen Flyer namens „Der Handwerker-Widerruf – Schützen Sie sich vor unseriösen Handwerkern“ und erklärte, dies sei sein neues Geschäftsmodell.

Das Urteil: Während das Amtsgericht seine Klage als rechtsmissbräuchlich abgewiesen hatte, gab das Landgericht Hannover hinsichtlich des Zusatzauftrags dem Kunden recht. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil wieder auf und sah kein Recht zum Widerruf.

Für das höchste deutsche Zivilgericht war hier entscheidend, dass Angebot und Annahme an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten erfolgten. Das Widerrufsrecht für Verbraucher setze aber beim Vertragsschluss die gleichzeitige Anwesenheit beider Parteien außerhalb der Geschäftsräume voraus. Die Bundesrichter erklärten, dass die EU-Verbraucherrechterichtlinie nur Verbraucher schütze, die außerhalb der Geschäftsräume spontan entscheiden müssen. Können sie hingegen überschlafen, ob sie den Auftrag erteilen möchten oder nicht, benötigten sie kein Widerrufsrecht. Wörtlich aus dem Urteilstext: „Der Vertrag ist vor Ort aber nicht, wie nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB erforderlich, bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geschlossen worden. Hierfür ist erforderlich, dass sowohl das Angebot als auch die Annahme bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragspartner erklärt werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.“  Eine zeitlich versetzte Auftragserteilung werde aber vom Gesetz nicht erfasst.

Kunde stand nicht unter Zeitdruck

„Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen liegt danach nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt. Findet eine Vertragsverhandlung nicht sofort im Anschluss an das Angebot statt, sondern hat der Verbraucher Gelegenheit, das Angebot des Unternehmers zu prüfen und zu überdenken, ist nach dem mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgten Schutzzweck der Tatbestand des bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags nicht erfüllt“, so das Urteil. „Eine typische Druck- oder Überraschungssituation der Verbraucherrechterichtlinie, vor der § 312b BGB schützen soll, liegt dann nicht vor“. Der Kunde habe das Angebot des Dachdeckers bis zur Annahme am nächsten Tag überdenken können.

Nicht vom Verbraucherschutz erfasst werden laut BGH grundsätzlich auch solche Situationen, in denen der Unternehmer zunächst zum Maßnehmen und Schätzen in die Wohnung des Verbrauchers kommt und den Vertrag erst später in den Geschäftsräumen schließt.  Dies begründen die Richter damit, dass der Verbraucher hier die Gelegenheit hatte, vor Vertragsschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken. Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Juli 2023 Az. VII ZR 151/22)