
Vielseitiges Podium: Dachdeckerin Marleen Götz, Minister Karl-Josef Laumann, FH-Rektor Thomas RItz und Handwerkskammer-Präsident Marco Herwartz diskutierten unter der Moderation von Christian Mourad über die Zukunft des Handwerks.
News vom 12.08.2025»Bürokratie macht schlechte Laune«
Weniger Akten, mehr Anerkennung: Warum das Handwerk Zukunft braucht – und die Politik endlich handeln muss
Karl-Josef Laumann ist ein erfahrener Vollblut-Politiker, der weiß, wie er ein Publikum für sich gewinnen kann: Nach Sätzen wie »Handwerker wollen sich nicht mit Akten beschäftigten. Wer dazu Lust hat, soll im Ministerium arbeiten« und – noch pointierter – »Bürokratie macht schlechte Laune« vermerkte das Protokoll der Vollversammlung der Handwerkskammer Aachen Mitte Juni lebhaften Beifall.
Der NRW-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales lobte im Aachener Rathaus das Handwerk als »wichtigen verlässlichen regionalen Arbeitgeber«, der attraktive Arbeitsplätze biete: »Da, wo Achtung ist, lässt es sich gut aushalten. Das wird im Handwerk gelebt.« Das duale Ausbildungssystem sei »der größte Standortvorteil, den Deutschland hat«. Auch das handwerkliche Lebens-modell halte er für gesellschaftlich wertvoller: »Auszubildende können mit 15 Jahren ins erste Lehrjahr starten. Heute ist der Durchschnitt für den Start ins Berufsleben aber bei 20,5 Jahren. Das halte ich für zu alt.«
Fokus auf die Zukunft gerichtet
Und auch wenn das 125-jährige Bestehen der Handwerkskammer Aachen die große Klammer um die Veranstaltung war: Worte wie gestern, damals oder früher fielen so gut wie gar nicht, als Laumann am Podiumsgespräch teilnahm.Der Blick ging vielmehr nach vorn. Denn im Mittelpunkt standen die Zukunft und gesellschaftliche Anerkennung des Handwerks und damit auch die brennende Frage, wie junge Menschen schon früh für handwerkliche Berufe begeistert werden können.
Die «Fachfrau» stand dabei neben dem Minister: Marleen Götz, 21 Jahre junge Dachdeckerin aus Baesweiler und Landessiegerin bei den Deutschen Meisterschaften im Handwerk. Sie erklärte die Vorbereitung auf die Ausbildung zum Schlüsselmoment: Mehr Praktika oder ein freiwilliges Handwerksjahr seien nötig und die schulischen Projektwochen dürften nicht nur die Themen Kunst und Sport behandeln: «In eine Projektwoche gehören auch handwerkliche Themen», befand sie und bemängelte die «recht geringe Wertschätzung» der Handwerksausbildung in einer Gesellschaft, die den «Azubi gegenüber den Studenten herunterstuft».
Junge Dachdeckerin und erfahrener Minister: Marleen Götz und Karl-Josef Laumann brachten ihre Perspektiven aufs Podium.
Dafür gab es Zustimmung von einem Mann, der nicht im Handwerk zuhause ist, aber als Partner des Handwerks agiert: Professor Dr. Thomas Ritz, Rektor der Fachhochschule Aachen, forderte »Gleichwertigkeit und Wertschätzung« von Hochschule und Handwerk und lobte die Zusammenarbeit zwischen der Handwerkskammer Aachen und der Fachhochschule: »Wir machen gemeinsam tolle Projekte wie das Aachener Zentrum für Holzbauforschung mitten im BGZ Simmerath.« Ritz warnte vor einer »Vorverurteilung« der Generation der Jugendlichen: Wir sollten die jungen Leute nicht schlechtreden. Aber die »Generation Swipe« (besser bekannt als GenZ) brauche unsere Unterstützung und Aufmerksamkeit.
»Frage der Leidenschaft«
So müsse jeder junge Mensch die Chance bekommen, sich ausgiebig zu orientieren, um dann seinen eigenen Berufsweg zu gehen, der nur unter einem Leitgedanken stehen dürfe: »Am Ende ist es eine Frage der Leidenschaft.« Marco Herwartz, der wenige Stunden zuvor in seinem Amt als Präsident der Handwerkskammer Aachen bestätigt wurde, stimmte dem Fachhochschul-Rektor zu: »Die jungen Leute sollen das machen, was sie erfüllt und ihnen Spaß macht.« Auf dem Weg dorthin müsse eine ausgeprägte Fehlerkultur mit den Stationen »Fehler machen, lernen, umfallen und wieder aufstehen« herrschen und den jungen Leuten Unterstützung in jeder Form gegeben werden: »Dazu brauchen wir viele gereichte Hände, auch bei der Berufswahl.«
Karl-Josef Laumann wertete den Zuwachs an dual Studierenden, die Beliebtheit der Meisterprämie und nicht zuletzt die steigende Zahl der Meisterabschlüsse als positive Zeichen. Er fand Unterstützung für seine Forderung nach »Entbürokratisierung« bei Marco Herwartz: »Wir brauchen zielführende Bürokratie und Prozessoptimierungen in den Betrieben, in der Politik und in der Verwaltung.«
Nachsichtiger Umgang mit jungen Leuten
Laumann warb gleich an mehreren Stellen für mehr Verständnis für Jugendliche und vor allem auch für Geflüchtete: »Stellen Sie sich vor, wie schwer das ist: Die kommen mit zwölf oder 13 Jahren bei uns an und müssen erst einmal ihren Weg finden.« Gerade eine frühe Ausbildung, wie sie das Handwerk biete, sei der beste Weg zur Eingliederung in die Gesellschaft: »Die Integration ist in meinen Augen nicht erfolgreich, wenn sie nicht in eine berufliche Tätigkeit mündet. Unsere Gesellschaft verträgt es nicht, wenn zu viele Leute keine Aufgabe haben.« Mit Jugendlichen müsse man nachsichtig umgehen, erklärte er: »Ich kenne viele junge Leute, die früher ihr Mofa frisiert haben und Ärger mit der Polizei hatten. Aber aus denen sind trotzdem super Schlosser geworden.«
Handwerker, die erfolgreich das Meister-BAföG beantragt haben, haben dem Minister nach etwas voraus. Denn er nahm sich nach eigenem Bekunden kürzlich die Unterlagen mit ins Wochenende und versuchte sich testweise am Ausfüllen des als überkompliziert gefürchteten BAföG-Antrags. Laumann schilderte den Ausgang des Selbsttests: »Ich habe das Ding nach einer dreiviertel Stunde entnervt zur Seite gelegt und den Zuständigen in unseren Behörden am nächsten Montag klargemacht, dass die Anträge so nicht bleiben können«, erklärte der NRW-Minister und untermauerte damit seine These von der überbordenden Bürokratie und der schlechten Laune.
Diskussion an sechs Thementischen
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion im Krönungssaal des Aachener Rathauses lud die Handwerkskammer Aachen zu Thementischen ein, bei denen Vertreterinnen und Vertreter des Handwerks sowie der Öffentlichkeit intensiv ins Gespräch kamen. Zur Diskussion standen Themengruppen, die das Heute und Morgen des Handwerks maßgeblich beeinflussen - allen voran die Frage der Nachwuchsgewinnung, die an gleich zwei Tischen Gegenstand der Gespräche war. An den Nachbartischen ging es um die Themen Nachhaltigkeit & Klimaschutz, Außenwirtschaft, Frauen im Handwerk sowie Integration von Migrantinnen und Migranten. Im Anschluss präsentierten die Gruppen ihre Ergebnisse und die Fragestellungen. In einer der kommenden DHB-Ausgaben folgt ein ausführlicher Bericht.