Kleine Aufmerksamkeit: Die Dame ist 51 Jahre alt und braucht regelmäßig Zuwendung. In der Mittagspause ist Zeit für die kurze Durchsicht.
News vom 11.11.2025Kundenwerbung mit 200 Kubik
Für Optikermeister André Hülser ist die alte Vespa Hobby und Marketingtool.
Text und Fotos: Alexander Bank_
Der Sehtest könnte in André Hülsers Geschäft deutlich aufgewertet werden. Statt Kolonnen wirrer Zahlen und Buchstaben stellt sich der Kunde ans Fenster und testet dort: Vespa erkannt, Electronic-Schriftzug entziffert, die feinen weißen Linien auf der hinteren Radabdeckung richtig gezählt und dann noch den Kilometerstand abgelesen – Test bestanden.
Leider verträgt sich das nicht mit den Gesetzen, aber der Augenoptiker aus Stolberg wäre bestens gerüstet: Hülsers große Leidenschaft sind die italienischen Kult-Motorroller, die er seit dem zarten Alter von 16 Jahren fährt. Derzeit besitzt er eine 200er Rally, Kenner werden an dieser Stelle aufmerksam: Dieser Typ mit dem namensgebenden 200-Kubikzentimeter-Motor ist ein gesuchtes Traumobjekt der Vespa-Szene und mit serienmäßigen 12 PS angemessen motorisiert, verzweifelt im Gegensatz zu den kleineren Modellen an keiner Steigung und bringt Fahrspaß. Eine Verbindung zwischen dem orangen Motorroller von 1974 und dem Optikergeschäft wird schon beim Fototermin klar: Kaum parkt er den Roller vor dem Haus, nähert sich der erste Neugierige mit einer Frage zur 200er. So spricht man Kunden an. Die Italienerin parkt gelegentlich auch aus gleichem Grund als Deko-Objekt im Schaufenster, derzeit nutzt Hülser sie für den Weg zur Arbeit. Der Vorteil gegenüber der Autofahrt: »Die Leute haben sofort gute Laune, wenn sie mich sehen« – und nicht nur deswegen ist die Vespa-Tour für ihn pure Entspannung.
Trauriger Blechhaufen
Die rundlichen Roller aus Italien sind Sympathieträger – aber bei Augenoptikermeister Hülser steckt weitaus mehr dahinter: Er zeigt Bilder von einem traurigen Blechhaufen und weist dann auf die makellose, auf Hochglanz polierte 200er vor ihm. Denn unter Liebhabern historischer Fahrzeuge gibt es die feine Abstufung: Restauriert gekauft ist ganz nett, der ölige Gral aber ist die Eigenrestaurier-Geschichte, zwingend mit den Versatzstücken: lange gesucht, euphorisch gekauft, ernüchtert inspiziert, verzweifelt, Hobby verflucht und Happy End mit erster Probefahrt in den Sonnenuntergang.
Panne auf den ersten Metern
Hülser hat viele dieser Blech-Geschichten erlebt, Auslöser war ein Spontankauf in der Jugend: Die (kleinste) 50er-Vespa verreckte schon bei der Überführung nach Hause, Geld für die Werkstatt war nicht da – so wird man zum Selbstschrauber. Die Jugendsünden mit optischen und technischen Eigenbauten sind längst Geschichte, heute legt er Wert auf hochwertigen, originalgetreuen Wiederaufbau mit Unterstützung professioneller Lackierer und Blechkünstler. Freizeit, das heißt für André Hülser: öliger Lappen statt Brillenputztuch und Schraubengröße M 7 statt 1,4 Milimeter-Winzigkeiten am Brillengelenk. »Für mich ist das ein wunderbarer Ausgleich zum Beruf«, sagt Hülser.