Die beiden Nachwuchstalente sind die besten ihres Gewerks auf Kammer- und NRW-Ebene. Nun messen sie sich beim Bundesfinale der Deutschen Meisterschaft mit den besten jungen Handwerkerinnen und Handwerkern.
News vom 11.11.2025Stein und Stuck
Selina Diekers und Elias Schmidt machen vor, wie Wettbewerb und Förderung wirken. Die DMH als Sprungbrett, Betriebe als Möglichmacher.
Text: Doris Schlachter
Talente werden sichtbar, Betriebe werden zu Kaderschmieden, und junge Fachkräfte gewinnen Selbstvertrauen, Verantwortung und Reichweite: Die Deutsche Meisterschaft im Handwerk – German Craft Skills (DMH) ist kein Rückblick auf Pokale, sondern eine Vorwärtsbewegung: Was das konkret heißt, zeigen zwei Gesichter aus dem Kammerbezirk Aachen: Selina Diekers (23), Steinmetzgesellin aus Wassenberg, und Elias Schmidt (19), Stuckateur aus Nettersheim-Marmagen. Beide sind 1. Landessieger in ihren Gewerken und bereit für die nächste Ebene, den Bundeswettbewerb.
Vom FSJ zur Fischblase
Studium? Eigentlich ja. Dann kam ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Denkmalpflege, ein Workshop mit einem Steinmetz – und der Perspektivwechsel. »Cool, dass ich über mein FSJ, was eigentlich für eine andere Laufbahn bestimmt war, zu diesem tollen Beruf gefunden habe. Die Chancen sind sehr breit gefächert. Schade, dass er so wenig bekannt ist. Ich finde das mindestens genauso gut wie ein Studium – oder sogar erstmal besser: Man ist schneller ‚grundfertig‘, verdient Geld und ist fit auch für Sachen zu Hause. Und ich habe schnell gemerkt, dass ich mit den Händen und kreativ arbeiten möchte, ein reiner Bürojob ist einfach nicht meins«, sagt die Steinmetzgesellin.
Im Internet stieß sie auf Naturstein Lindholm in Erkelenz-Gerderath: Ein Video über eine reich ornamentierte Sandsteinbalustrade »hat mich gecatcht«. Vom 1. September 2022 an lernt Selina dort die volle Bandbreite – Hammer und Meißel, Maschinenführung, Versetz- und Verlegetechniken vom Fliesenelement bis zum tonnenschweren Monument. Geschäftsführer Benedikt Lindholm (32), Steinmetzmeister und Restaurator im Handwerk, führt den Zwölf-Mann-Betrieb in zweiter Generation: »Wir arbeiten zu 80 Prozent in der Denkmalpflege, machen aber auch Massivstein und Neubau – Fensterbänke, Küchenarbeitsplatten, Altäre. Selina besteht hervorragend im ‚wahren Leben‘ anstatt nur Prüfungsaufgaben zu erledigen. Ich betraue sie auch schon als Bauleiterin mit Projekten. Als Chef bin ich sehr froh, dass ich sie habe.«
Selinas Gesellenstück – ein Blindmaßwerk mit zweiteiliger Fischblase, die Yin & Yang darstellt – überzeugte auf Kammer- und Landesebene. »Maßwerke sind anspruchsvoll, aber wunderschön zu bearbeiten. In meinem Entwurf steckt sogar ein ‚S‘ – erst andere haben mich darauf hingewiesen«, sagt sie lachend. Für die Bundesebene, bei der sie acht Stunden lang per Hand einen rohen Stein bearbeiten muss nach Vorgabe, bleibt sie ruhig: »Noch bin ich absolut gelassen und frei wie der Wind, am Abend zuvor und am Prüfungstag selber werde ich sicherlich ziemlich aufgeregt sein. Aber sobald ich eine halbe Stunde am Stein stehe, bröckelt die Nervosität, dann geht es nur noch um die Steinbearbeitung.«
Mit Titel und Taktgefühl
Elias’ Weg klingt wie ein Drehbuch fürs Handwerk: Familienbetrieb seit 1965, Teamstärke acht; der Großvater Richard (88) legte den Grundstein, Vater Arnd ist 1993 in den Betrieb eingestiegen. »Ausbildung im eigenen Betrieb ist nie gut – da waren wir uns direkt einig«, sagt Elias. Also drei Jahre Lehre bei Stuckateurmeister Michael Hermes in Hellenthal, 1. Kammersieger, 1. Landessieger – und zurück in den Familienbetrieb. Klar, dass der Ausbilder auch mächtig stolz ist auf »seinen Schützling«.
Der Arbeitstag des 19-Jährigen startet um 6:30 Uhr am Lager: Material laden, Besprechung, ab zur Baustelle. »Wenn ich ankomme, muss das Radio laufen – Schlagerparadies oder Radio Bollerwagen«, grinst er. Vater Arnd kontert mit Charts und Elektro – Helene Fischer trifft DJ Guetta. In der dunklen Jahreszeit: Licht aufbauen, Maschine an, Außenputz, Kalk-Zement-Unterputz, Kaffee. Giebel fertig, am Sockel wasserabweisender Putz, später Gerüst stellen, damit der Kunde streichen kann. Höhenangst? Fehlanzeige.
Im Betrieb Schmidt dominieren Innen – wie Außenputz, Trockenbau, Estrich; prunkvolle Stuckarbeiten sind rar, könne und wolle sich kaum noch jemand leisten. Wenn, dann geht es für solche kunstvollen Arbeiten in die Städte, vorzugsweise in den Köln-Bonner Raum. »Ich mag außergewöhnliche Fälle, wo ich kreativ Probleme löse – neulich ein Holzständerwerk ohne Abdichtung; da war alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte.« In der Prüfung: Putz, Trockenbau, Stuck ziehen, Stuckschlitten bauen, Gehrungen setzen – und das unter Zeitdruck: »Gips wartet nicht. Danach fühlen sich die Hände an wie nach einem Peeling.«
Was der junge Stuckateur gar nicht mag? »Fassaden streichen – da krieg’ ich die Krätze.« Nächstes Ziel: Meisterkurs, später vielleicht Betriebsübernahme – »aber erst, wenn ich genug gesehen und Erfahrungen gesammelt habe«.Mutter Doris und Vater Arnd halten ihrem Sohn stets den Rücken frei und sind stolz, dass Elias so durchzieht, »toll, wie er das macht und wie gut das klappt«.
Wofür steht die DMH?
Die Deutsche Meisterschaft im Handwerk – German Craft Skills ist der bundesweite Wettbewerb in rund 130 Berufen – vom Innungsentscheid über Kammer und Land bis zum Bundesfinale. Sie wirkt als Karrierebooster für die jungen Handwerkerinnen und Handwerker und als Reputationsmotor für Ausbildungsbetriebe: Wer Talente anmeldet, Trainingszeiten schafft, Material und Coaching bereitstellt, zeigt Haltung – und stärkt seine Arbeitgebermarke.
Handwerkskammer-Präsident Marco Herwartz bringt es bei einer Feierstunde auf den Punkt: »Ihr seid die besten Botschafterinnen und Botschafter der dualen Ausbildung. Niemand kann glaubwürdig etwas verkaufen, wenn er nicht überzeugt davon ist – Leidenschaft zählt. Geht raus und redet über euren Beruf. Ein Abitur ist so viel wert wie eine abgeschlossene Ausbildung – entscheidend ist, was man daraus macht.«
National und international
Nach der DMH ist vor der DMH. Der Blick geht zur großen Bühne EuroSkills 2027 in Düsseldorf. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) peilt Platz eins im Medaillenspiegel der Europameisterschaft an; die Auswahl für die Nationalmannschaft beginnt jetzt.
Für die jungen Fachkräfte, die bei der DMH auf Bundesebene erfolgreich sind, heißt das: dranbleiben, weiter trainieren, sichtbar werden – in Betrieben, Innungen, auf Messen und online. Für die Unternehmen bedeutet es: Talente früh melden, Trainingszeiten fest im Alltag verankern, Material und Coaching bereitstellen, Testläufe ermöglichen – und die Erfolge offensiv kommunizieren. So entsteht jene Ausbildungskultur, die Karrieren wie die von Selina Diekers und Elias Schmidt möglich macht.
Wer heute anpackt, gestaltet morgen mit – am Stein, auf der Baustelle, im eigenen Betrieb. Und 2027, in Düsseldorf, vielleicht auf der europäischen Bühne.