Mann mit VR-Brille entwickelt einen neuen Designstuhl
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Moderne Technik und gute Betriebsstrukturen können im Handwerk ganz neue Potenziale heben.

News 13.05.2025Der Chatbot ist keine Wunderwaffe

Ohne modernisierte Betriebsstrukturen bleiben KI & Co wirkungslos.

Marc Schnitzler konnte sich beim Bäcker kaum sattsehen an der Auswahl, orderte voller Begeisterung dreimal Mohn, einmal Sesam und fünf Laugenstangen, zückte die EC-Karte und erlebte das erste Tief des Tages schon am frühen Morgen: Nur Barzahlung möglich. Der „Normalkunde“ fördert das letzte staubige Rotgeld aus seinen Taschen, aber Schnitzler schaltet um auf die professionelle Sicht: Herr Bäckermeister, wir haben ein Strukturproblem!

Am nicht-digitalisierten Bäckertresen wird aus dem Privatmann, der fürs Frühstück sorgen will, sofort der „Berater für Innovation und Technologie Schwerpunkt Digitalisierung“. Das ist sein Beruf bei der Handwerkskammer Aachen und in dieser Funktion erkennt er beim Brötchenkauf: Das fehlende Kartenlesegerät auf dem Tresen offenbart Probleme im Hintergrund, hier müssen die Abläufe unter die Lupe genommen werden, um die Zukunft zu sichern. Und ein Griff in die bunte Digitalkiste mit Chatbot & Co. verbessert hier gar nichts.  

Marc Schnitzler entzaubert mit diesem Blick auf das Digitalthema viele Schlagworte, die im Handwerk entweder als Drohung oder als Verheißung gehandelt werden. Denn für ihn entfalten digitale Werkzeuge wie KI oder VR-Brillen ihre Wirkung erst, wenn Abläufe und Strukturen im Betrieb erkannt, modernisiert und offener sind: „Ich muss generell ein System schaffen, das so transparent ist, dass mehrere Personen die Aufgabe erledigen können.“ Denn wenn der Chatbot über Nacht Anfragen sammelt, aber nur ein Mitarbeiter ihn bedienen kann oder die Kundendaten auf einem Blatt Papier statt im Netzwerk-Rechner landen, ist er nicht Teil einer beständigen Funktionskette, sondern nur ein einsamer digitaler Außenposten ohne Anknüpfungspunkte zu den Betriebsabläufen.   

Erst renovieren dann digitalisieren

Diese Überprüfung der Strukturen kann auch an anderen Stellen hilfreich sein: Würde es die Kunden nicht begeistern, wenn auch der kleine Betrieb um die Ecke mit der vorgehaltenen Smartwatch, dem Handy oder der EC-Karte abrechnen würde? Würde die „große Konkurrenz“ nicht aufmerksam, wenn der Familienbetrieb plötzlich den gleichen Service bietet wie die Mehrfilialen-Kette?

Marc Schnitzler hat eine klare Haltung dazu: Erst wenn solche eingefahrenen Prozesse und Gedanken erfolgreich renoviert wurden, ist der Betrieb bereit für eine Zukunft – natürlich mit digitaler Unterstützung.

Schnitzler nennt diesen Idealzustand „das neue Gold im Handwerk“ und sieht innerbetriebliche Workshops unter der Leitung eines Beraters „von außen“ als besten Wegbegleiter dorthin: Inhaber und Mitarbeiter prüfen aus ihren – oftmals unterschiedlichen – Blickwinkeln bestehende Abläufe und legen offen, wo es hakt und was besser werden muss. Der Mensch von außen sei unabdingbar (und bezahlbar), sagt Schnitzler: „Sowas kann und muss man als Betrieb nicht allein lösen. Und es gibt viele Fördermöglichkeiten für solche Projekte.“  

Der Azubi steht ganz oben

Am Ende dieser Neu-Strukturierung stehe nicht nur ein Unternehmen, das gelassen in die Zukunft blicken könne. Es sei auch ein Betrieb der geänderten Hierarchien: „Beim Stichwort KI-Nutzung etwa bin ich mir sicher, dass der Azubi an seinem ersten Arbeitstag ganz oben auf der Wissenstreppe steht.“ In seiner Vorstellung arbeiten daher künftig „Wissenstandems“ in den Betrieben: Sie werden gebildet vom erfahrenen Meister, der sich weder bei Instagram noch TikTok zuhause fühlt, aber ein großes Paket praktische Erfahrung mitbringt und sich von Trends nicht aus der Ruhe bringen lässt. Sein Tandem-Partner verfügt zwar nicht über diese Menge an Erfahrung und handwerklichem Wissen, aber er beherrscht die Digital-Tools. Beide zusammen bilden dann eine neue Fachkraft.

Polarisierende Sichtweise

Seine Sichtweise, die grundlegende Umstrukturierung in den Betrieben nicht ausschließt und damit Traditionen infrage stellt, polarisiert: „Als Antwort höre ich oft: ‚Ich habe genug zu tun, bei uns läuft es, ich brauche das nicht.“ Das sei eine Momentaufnahme, entgegnet Schnitzler dann, aber keineswegs eine Zukunftsperspektive: Weder für den Betrieb noch für seine Mitarbeiter und erst recht nicht für einen Unternehmensnachfolger.

Die HWK-Stabsstelle Zukunft im Handwerk ist erster Ansprechpartner für Betriebe, die sich zukunftsfähig aufstellen möchten. Sie vermittelt Berater, die den Ist-Zustand des Betriebes analysieren und dabei Belegschaft und Betriebsleitung einbeziehen. Dazu bietet die Stabsstelle einen Überblick über aktuelle Fördermöglichkeiten.

Ansprechpartner: 

Marc Schnitzler

Berater für Innovation und Technologie Schwerpunkt Digitalisierung

Tel. +49 2407 9089-150

Mobil +49 178 6251898

marc.schnitzler--at--hwk-aachen.de